Den Schalter im Kopf umlegen

Ein Gespräch mit Susanne Hausstein, Promovendin und Bloggerin, über die Nutzung von Müll als Hilfsmittel in der Kreation neuer Produkte.

SH

„Stell dir vor, es ist Müll, und niemand holt ihn ab!“ Dieser Satz könnte in Zukunft zitierfähig werden. Damit er das nicht nur im umweltbedrohlichen, sondern auch im avantgardistischen Sinne wird, arbeitet eine kleine Zahl von Forschern an alternativen Verwertungsmethoden für unseren Müll. Was hat es damit nur genau auf sich?

Fragen wir am besten einmal Dipl.-Designerin Susanne Hausstein aus Berlin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit einem Phänomen der Gesellschaft, das uns alle angeht. In ihrer Dissertation geht es um verschiedenste Prozesse der Partnerschaftsgestaltung zwischen Objekt und Mensch: wann fängt diese an, wann wird sie aufgekündigt und warum?

In kurzen Worten gesagt, erforscht die 30jährige die Beziehung des heutigen Menschen zu Haus- und Wirtschaftsmüll und unserem Wegwerfverhalten, speziell unter dem Gesichtspunkt des Designs. Für uns war sofort klar, dass wir uns mit Frau Hausstein einmal zusammensetzen sollten. Schließlich stehen auch wir mit unseren Produkten der Abfallentsorgung in der Verantwortung, für eine nachhaltige Umwelt und Gesellschaft einzutreten.

Interview mit Susanne Hausstein

Guten Tag, Frau Hausstein. Bevor wir uns ihrer Arbeit widmen, stellen Sie sich und Ihren Werdegang unseren Lesern doch noch einmal selbst kurz vor.

Ich komme aus der Nähe von Berlin und bin dort auch aufgewachsen. Zunächst habe ich Industriedesign studiert und angenommen, dass mich der Beruf der Architektin locken könne. Doch schnell habe ich gemerkt, dass es die Dinge sind, die mich faszinieren. Nachdem ich neben dem Studium und auch schon davor allerhand in der Welt umherreisen konnte, schloss ich 2011 mein Diplomstudium mit einer Arbeit über das Verhältnis zwischen Mensch und Müll an der Universität der Künste in Berlin ab. Zur Zeit arbeite ich nun an meiner Doktorarbeit, die von Prof. Dr. Gesche Joost betreut und von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt mit einem Stipendium gefördert wird. Außerdem bin ich weiterhin freischaffende Designerin in Berlin.

Wie sind Sie in diese Richtung der Forschung gekommen? Gab es einen Schlüsselmoment, an dem Sie gesagt haben: ja, das mach ich!

Der Schlüsselmoment war, denke ich, eine Reise nach Marokko. Wir kuratierten dort eine Ausstellung zur Urbanen Landwirtschaft und verbrachten viel Zeit in und um Casablanca. Dort fiel mir zunächst der „unkonventionelle“ Umgang mit alten Plastikflaschen und -containern auf. Marokkaner sammeln diese bunten Behälter und verkaufen dann Selbstgemachtes darin. Auf dem Land hingegen liegt der Müll überall herum. Die Tiere fressen Plastiktüten, die Kinder bauen daraus Spielzeuge. So lange, bis sich jemand „verantwortlich“ zeigt und den Haufen Müll in Brand setzt. Damit war zunächst das Thema auf dem Tisch. Plötzlich sah ich den Müll überall, auch zu Hause und vor allem auch im Studium. Ich sah die vielen Entwürfe meiner Mitstudenten und es wurde klar, dass wir Produktdesigner kaum über Müll nachdenken. Zum Abschluss meines Studiums wollte ich diese Angelegenheit klären. Denn die Verbindung zwischen Designinnovation und Abfall ist direkt.

Haushaltsabfälle_Fraktionen

Müll als Design – worum geht es da?

Worum geht es in Ihrer Promotion nunmehr genau? Wir haben es wahrscheinlich nur angerissen.

In meinem Promotionsprojekt „[ent]SORGEN“ geht es vor allem darum, Müll zu einem Hilfsmittel in der Kreation neuer Produkte zu machen. Soll heißen, ich möchte den angehenden Designern das Phänomen Müll in der Art näherbringen, dass sie es als Inspiration, Kontrollinstanz oder Testfeld nutzen können, um bessere (im Sinne von weniger oder kein Müll) Produkte zu erschaffen. Dazu erforsche ich das ganze Phänomen zunächst genau, um dann daraus Methoden sowie Grundlagenwissen zu er- und vermitteln. Es mag abstrakt klingen, aber ich bin mir sicher, dass in naher Zukunft „Mülltheorie und -praxis“ (oder „Müllmethoden“) als Lehrmodul im Designstudium eingeführt wird.

Mit welcher Zielstellung, sind Sie in dieses Projekt gegangen? Soll der Schalter im Kopf des Verbrauchers oder des Designers umgelegt werden?

Die Zielstellung ist in meinem Projekt ist breit angelegt, da ich optimistischer Weise so viele Schalter wie möglich umlegen möchte. Aber direkt ziele ich auf die Designer, speziell die Designstudenten, von denen es von Jahr zu Jahr mehr gibt. Meine These lautet, dass die Grundhaltung von Designern sich in ihren Produkten niederschlägt und damit das Potenzial hat, auch beim Verbraucher Verhaltensveränderungen zu bewirken.

Müll im Designprozess

Die Erforschung von Müll und Recycling wird im deutschen Raum wahrscheinlich eher weniger praktiziert. Welche Quellen können Sie im In- und Ausland dafür nutzen, und mit welchen Instituten und Partner arbeiten Sie zusammen?

Das Thema Müll ist derzeit stark im Kommen. Gerade in Deutschland erfährt die Sparte Recycling eine immense Medienaufmerksamkeit und wird durchaus auch vielseitig behandelt. Weniger tiefgreifend befasst man sich aber mit dem Wesen von Müll im kulturpraktischen und gestalterischen Sinne. An dieser Stelle setze ich an. Für meine Forschung schaue ich also in verwandte Themengebiete wie die Soziologie, Kulturwissenschaft, Psychologie und natürlich die Designwissenschaften. Außerdem gibt es mittlerweile ein überaus spannendes „Müllnetzwerk“, das wir aufgebaut haben. Da ist vor allem die Initiatorin von designkritik, Prof. Birgit S. Bauer, zu nennen. Aber es gab und gibt auch Gespräche mit dem städtischen Müllentsorger hier in Berlin, einer großen Hausverwaltung und natürlich den Designuniversitäten.

In welcher Phase der Promotion befinden Sie sich gerade?

Nach etwas mehr als einem Jahr Arbeit (in Teilzeit, da ich eine kleine Tochter habe) bin ich nun beim praktischen Teil. Ich teste einzelne Methoden, mache kleine Interventionen und forsche nun auch vor Ort, also „an der Tonne“ oder wo auch immer Müll „entsteht“.

Susanne Haussteins promotionsbegleitender Blog

Screenshot Blog

Doktoranden, die ihre Arbeit mit einem Blog begleiten, sind in Deutschland auf dem Vormarsch. Aus welchen Gründen führen Sie persönlich einen Blog?

Das Thema und alle Erkenntnisse, die ich gewinne, sollen allen Menschen zur Verfügung stehen. Müll ist faszinierend und hat viel Kraft und Potenzial, die Leute nachhaltig zu beeindrucken oder zu verwundern. Außerdem ist Müll zumeist bildgewaltig, wie man so schön sagt. Das alles erfordert ein schnelles, universelles Medium. Im Design wird häufig und viel mit Blogs gearbeitet, da es der Arbeitsweise des Designers in vielerlei Dingen entspricht.

Für Ihren Blog unternehmen Sie auch viele Auswärtstermine. Wie finden Sie zu Ihren Themen, und worüber haben Sie noch nicht, würden aber gerne mal bloggen?

Vieles begegnet mir im Alltag. Anderes lese ich in der Zeitung, forsche nach und schreibe es auf. Im Bekanntenkreis werden mir mittlerweile sehr häufig „Mülltipps“ gegeben, also nach dem Motto „Schau mal dort, da steht etwas erstaunliches über Müll, da musste ich gleich an dich denken“.
Es gibt noch tausend Dinge, die ich aufschreiben will. So viele spannende Aspekte, die mal richtig durchdacht werden müssten. Leider ist auch bei mir Zeit immer knapp. Aber ich gebe mir Mühe.

SusanneHausstein_Diplompool

Design aus Müll und sein Nutzen für Wirtschaft und Industrie

Wie könnten Ihre Ergebnisse für die Wirtschaft, z.B. für Resorti.de als Vertrieb von umweltschützenden und –schonenden Gegenständen wie Abfallbehältern, Aschern und Hundekotbeuteln von Bedeutung sein?

Die Ergebnisse meiner Forschungsarbeit sollen sich auf die Entwürfe und Konzeptionen von Produktdesignern auswirken. Da ja auch Abfallbehälter und alle Gegenstände rund um Abfall von Produktdesignern kommen (auch wenn es keine Stardesigner sind), würde sich also die Produktpalette ändern. Womöglich würde in naher Zukunft vor allem der bewusste Umgang mit Müll im Mittelpunkt stehen. Als Beispiel könnte ich mir einen Abfallbehälter vorstellen, der ein lautes Getriebegeräusch von sich gibt, wenn etwas hineingeworfen wird. In weiterer Zukunft hoffe ich jedoch, dass wir das Konzept des Wegwerfens durch eine andere Tätigkeit (kulturelle Praktik) ersetzen können. Das Mehrwegsystem zeigt ja, dass es solche Tätigkeiten durchaus gibt. Nun muss man nur auf die kommenden Designer vertrauen!

Sie arbeiten momentan bis voraussichtlich 2015 an Ihrer Promotion. Welche Pläne haben Sie heute schon für die Zeit danach?

Ich hoffe natürlich im Anschluss an die Dissertation die Möglichkeit zu bekommen, die Ergebnisse an Studenten weiterzugeben. Das heißt, ich würde sehr gern in die Lehre gehen und mit angehenden Designern im Müll wühlen.

Sehr geehrte Frau Hausstein, wir bedanken uns bei Ihnen für die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben. Wir werden Ihren Weg aufmerksam weiterverfolgen!

Sehr gerne. Ich sage vielen Dank für die Einladung zu diesem Gespräch!

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